Vier wichtige Überlegungen bei der Auswahl eines Roboter-Endeffektorsystems

Alle vier müssen sorgfältig bedacht werden, um für die Bedürfnisse des Nutzers die beste Lösung zu wählen
Von Benjamin Pauzus, Jr.


In der Roboterindustrie hat sich in den letzten Jahren ein bemerkenswerter Wandel ereignet. Während Roboter früher fast ausschließlich bei industriellen Anwendungen eingesetzt wurden, gibt es nun auch in anderen Bereichen ein signifikantes Wachstum des Robotereinsatzes. Am bekanntesten sind Roboter für den Service- oder Privatbereich, unbemannte Luftfahrzeuge (oder Drohnen) und sogenannte „fahrerlose“ Fahrzeuge. Trotzdem werden Industrieroboter ein wichtiger Bestandteil eines Marktes bleiben, von dem manche erwarten, dass er bis 2025 rund 500 Milliarden Dollar Umsatz erreichen wird.

Eine Branche, die auch künftig auf Roboter- und Automatisierungslösungen setzen wird, ist die Automobilindustrie. Sie hat als eine der ersten Roboter/Automatisierung eingesetzt, um Fertigungsprozesse zu beschleunigen und zu optimieren. Auch andere Branchen, darunter die Verpackungs-, Pharma- sowie Luft- und Raumfahrtindustrie, werden weiterhin nicht auf automatisierte Abläufe verzichten.

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Doch es in vielen Branchen noch zahlreiche Hersteller, die das Automatisierungspotential nicht vollständig ausschöpfen. In der Metallindustrie sind das beispielsweise Unternehmen, die Metallteile stanzen und montieren.

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In der Metallstanzbranche verwendet man unterschiedliche Pressenstraßen, nämlich:

  • Progressiv: Progressive Pressenlinien werden für kleinere Teile verwendet, die keine Automatisierung oder End-of-Arm-Toolings (EOAT) benötigen, um das Teil von Werkzeug zu Werkzeug zu bewegen, während es die Linie durchläuft. Ein EOAT fungiert als die „Roboterhand“, die ein Teil entweder fixiert oder es im Rahmen eines Fertigungsprozesses zur nächsten Station bewegt.

  • Transferstraßen: Diese·Art·von Pressenstraßen verfügt über dreiachsige Transferschienen, die das Teil von Form zu Form transportieren und mechanisch oder per Servomotor angetrieben werden. Während mechanisch betriebene Transferstraßen im Kolbentakt der Presse arbeiten, ist bei servoangetriebenen Transferstraßen die Bewegung programmierbar und damit für bestmöglichen Durchsatz oder beste Hubfrequenz pro Minute optimierbar.

  • Tandemstraßen: Bei diesen Fertigungsstraßen sind meist vier bis sieben Pressen in einer Reihe angeordnet. Der Teiletransfer auf einer Tandem-Pressenstraße erfolgt in der Regel mit Hilfe eines zwischen den einzelnen Pressen installierten 3-Achsen-Pick-and-Place-Systems oder 6-Achsen-Roboters.

Bei jeder Pressenstraße ist aber zu bedenken, dass es sich bei Stanzteilen nicht immer schon um Fertigteile handelt. Oft muss das gestanzte Teil noch geschweißt oder montiert werden, bevor ein Fertigteil entsteht. An den Stanzprozess schließt sich also noch ein Montageprozess an. In diesem Fall spielen Roboter und roboterisiertes EOAT eine wichtige Rolle, um die Effizienz und Genauigkeit des Montageprozesses zu gewährleisten.

Nachdem wir die unterschiedlichen Arten von Pressenstraßen kennengelernt haben, wollen wir uns im Rest dieses Artikels mit den vier entscheidenden Überlegungen beschäftigen, die man für die Optimierung der automatisierten oder robotergestützten Abläufe in Press- und Karosseriewerken anstellen muss. Außerdem folgen Tipps für die Wahl der am besten geeigneten automatisierten Tooling- oder Endeffektorlösung.

AM ANFANG …

Stellen Sie sich vor, Sie starten bei einem 100-Meter-Rennen an der 25-Meter-Marke, während andere Läufer im Vollsprint an Ihnen vorbeiziehen. Oder Sie starten bei einem Autorennen erst, wenn der Rest des Feldes bereits 20 Runden gefahren hat. Unter diesen Bedingungen ist es nahezu unmöglich, das Rennen zu gewinnen. Allzu oft befinden sich Lieferanten von Endeffektoren für ein neues Spann- oder Pick-and-Place-System in einer vergleichbaren Lage.

Bei der Entwicklung von Pressformen definiert der Auftraggeber gemeinsam mit dem Formenbauer üblicherweise als erstes die Ausführung der Formen für die Fertigung der gewünschten Teile. Nach mehreren Überprüfungs- und Überarbeitungsschritten wird die Form vom Auftraggeber abgenommen und man fertigt CAD-Zeichnungen der Form an. Anschließend wählt man den Lieferanten der automatisierten Tooling-Lösung aus und überlässt ihm die vereinbarten Formendaten. Anhand dieser Daten erstellt der Lieferant ein Tooling-Design und eine Funktionssimulation der Tooling-Lösung. Nach Überprüfung durch den Auftraggeber wird ein Corrective Actions Report (CAR) erstellt, in dem etwaige Abstands- oder Kollisionsprobleme festgehalten sind, die bei der Simulation auftraten. Der CAR geht an den Formenbauer, der alle Probleme behebt, bevor er die Formen ausliefert.

Der Grund für diesen Ablauf ist klar, wenn man weiß, dass ein funktionsfähiger Werkzeugsatz mehr als 200.000 Dollar kosten kann, während die Endeffektoren im Allgemeinen weniger als 10 % dieser Kosten ausmachen. Es ist verständlich, dass Anlagenplaner und Auftraggeber ihr Augenmerk eher auf die kostspieligere Komponente richten – doch man sollte bedenken, dass alle Teile im System – ganz gleich, ob groß oder klein, teuer oder billig – perfekt aufeinander abgestimmt sein müssen, damit das System zuverlässig funktioniert. Es ist also besser, den Lieferanten der Tooling-Lösung früher in den Planungsprozess einzubeziehen, um zeitaufwändige Nachbesserungen der Formen zu vermeiden.

Das geschieht meist, indem man ihm ein Arbeitsblatt mit den vorgeschlagenen Greifpunkten für die Greiferfinger oder das EOAT aushändigt. Der Lieferant der Endeffektoren plant dann die Berührungspunkte der Anlage, simuliert die nötigen Bewegungen (Spannen, Heben, Neigen, Lösen etc.) und bemüht sich gemeinsam mit dem Formenbauer um ein reibungsloses Zusammenspiel der Endeffektoren mit der bereits fertigen Form. Der Formenbauer kann dann feststellen, ob die Formen mit den Endeffektoren kompatibel sind und das vom Auftraggeber gewünschte Ergebnis erzielen. Sollten Änderungen nötig sein, wird ein Corrective Actions Report erstellt. Nachdem sämtliche Änderungen durchgeführt wurden, stellt man anhand von Simulationen fest, ob die Anlage erwartungsgemäß funktioniert.

Wegen der notwendigen Abstimmungen zwischen dem Formenbauer und dem Endeffektorlieferanten erscheint es für Auftraggeber und Anlagenplaner ratsam, den EOAT-Lieferanten bereits von Beginn an in den Planungsprozess einzubeziehen. Dank moderner digitaler Planungstools und der Aufgeschlossenheit von weitsichtigen Herstellern setzt sich der neue Prozess bei der Planung von robotergestützten Spann- und Pick-and-Place-Systemen immer mehr durch.

DIE VIER DINGE, DIE ZU BEACHTEN SIND

Für die Wahl und Einrichtung der perfekten Endeffektorlösung muss der Nutzer vier entscheidende Dinge bedenken. Nur wenn man die Erfordernisse in diesen vier Bereichen vollständig berücksichtigt, kann eine fundierte Wahl der geeigneten Endeffektorlösung getroffen werden.

Custom Body Builder End Effector with Roof Panel

Grundsätzlich werden robotergestützte Anlagen zum Handhaben von Teilen in zwei industriellen Fabrikationsumgebungen eingesetzt. Sie lauten:

  • Presswerke – Im Allgemeinen ist das Presswerk der Ort, an dem die herkömmlichen Metallpressverfahren eingesetzt werden, obwohl sich die Definition des Presswerks in den letzten Jahren weiterentwickelt hat. In herkömmlichen Presswerken arbeiten lineare „Transferpressen“, die zwar automatisiert sein können, aber ohne Roboter auskommen. Doch immer mehr Presswerke setzen auf „Tandem-Straßen“, bei denen Roboter verschiedene Aufgaben übernehmen, die früher von Hand ausgeführt wurden. Aus diesem Grund müssen Endeffektoren in einer Tandem-Straße mit den dort eingesetzten Robotern kompatibel sein.

  • Karosseriewerke – Im Karosseriewerk werden bereits gestanzte Teile mittels Schweißen, Kleben etc. zusammengefügt. Die robotergestützte Herstellung nutzt modulare Endeffektorsysteme. Diese wurden eigens für hochspezialisierte Anwendungen entwickelt, die zumeist ein präzises Positionieren und Fixieren von Teilen erfordern.

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Um die jeweils beste Endeffektorlösung sowohl für ein Presswerk als auch für ein Karosseriewerk zu wählen, müssen drei wichtige Betriebsparameter quantifiziert werden. Sie lauten:

  • Zykluszeit - Im Presswerk misst man die Taktrate als Hubfrequenz pro Minute (strokes per minute; spm), was gleichbedeutend ist mit der Anzahl der pro Minute gestanzten Teile Im Karosseriewerk dienen als Messgröße die Bewegungs- oder Arbeitsabläufe, die das Endeffektorsystem für die Fertigstellung eines Teils ausführen kann. TEine typische Transferpresse arbeitet z.B. mit einer Geschwindigkeit von 15-22 spm. Die spm-Rate lässt sich durch eine effiziente Anlagenauslegung verbessern. Mit Hilfe moderner digitaler Planungs- und Simulationsmöglichkeiten können die Formen- und Endeffektorentwickler zudem Mehrplatzarbeitsstudien durchführen, um potenzielle Engpässe im Teilebewegungsprozess aufzuspüren. Solche Engpässe können die Entwickler dann zur Optimierung der spm-Rate beseitigen, bevor die Anlage in Betrieb geht.

  • Gewicht: Das Gewicht der zu bewegenden Teile spielt eine überaus wichtige Rolle bei der Wahl der passenden Endeffektorlösung. Der EOAT-Entwickler muss berücksichtigen, dass das Tooling möglichst robust und leicht sein muss, damit es zuverlässig funktioniert – also ohne vorzeitiges Loslassen, falsches Absetzen oder Vibrationen. Außerdem muss es ohne Ermüdungs- oder Ausfallerscheinungen abertausende Transferzyklen durchführen können.

  • Reichweite: Die Frage, wie weit das EOAT zum Erfüllen seiner Aufgabe ausfahren muss, spielt ebenfalls eine Rolle bei der Wahl der besten Endeffektorlösung. Optimalerweise sollten der Roboter oder die Werkzeuge nur so weit wie nötig aus- oder verfahren. So kann die seitliche Belastung und/oder das Gewicht des EOAT (oder Transferfingers) in Grenzen gehalten werden. Möglichst kleine Maße des EOAT (also eine minimale seitliche Belastung) reduzieren zudem die Auslenkung und tragen somit zur Harmonisierung der automatisierten Abläufe und einer Steigerung des Durchsatzes bei.

DESTACO Vacuum Products

Wenn man die Betriebsumgebung und die Betriebsparameter für die robotergestützte Endeffektorlösung kennt, kommt man zu den verschiedenen Arten von Endeffektoren, die für den Einsatz infrage kommen. Grundsätzlich stehen zwei Optionen zur Wahl:

Eigenschaften von modularem Tooling:
  • Planung
    • Zeitsparende Planung
    • CAD-Bibliothek mit Standardkomponenten
    • Konsistentes Design
    • Flexiblere Anpassung an Konstruktionsänderungen
  • Fertigung
    • Standardkomponenten
    • Weniger kundenspezifische Teile
    • Zeitsparende Montage
  • Anwendung
    • Niedrigeres Gesamtgewicht
    • Konstruktive Flexibilität kann die Inbetriebnahme beschleunigen
    • Schnellere Störungsbeseitigung als bei geschweißten Konstruktionen
Eigenschaften von geschweißten Toolings
  • Planung
    • Längere Planungsdauer
    • Weniger Standardkomponenten in CAD-Bibliothek
    • Planungsabweichungen zwischen unterschiedlichen Teams
    • Probleme bei Änderungen der Konstruktion
  • Fertigung
    • Kundenspezifische Komponenten
    • Weniger Standardteile
    • Längere Montagedauer
  • Anwendung
    • Insgesamt höheres Gewicht
    • Inbetriebnahmedauer kann länger sein als bei modularem Tooling
    • Die Störungsbeseitigung kann viel länger dauern als bei modularem Tooling. So kann es sein, dass ein Geometrie-Greifersystem nach einem Crash ein CMM benötigt, ein modulares Tooling aber nicht

Es gibt es viele weitere Nebenkomponenten, die man zusammen mit der gesuchten Endeffektorlösung einsetzen kann. Diese sind:

  • Vakuumsauger und Magnete – Sie kommen in direkten Kontakt mit dem Teil oder Fertigprodukt, das gehalten oder bewegt werden muss. Vakuumsauger sind für diese Aufgabe am gebräuchlichsten und erhältlich in verschiedenen Größen, Formen, Auflagegeometrien, Flexibilitätsgraden sowie Materialien – meist Gummi, zunehmend auch Polyurethan. Es gibt sie mit unterschiedlichen Anschlüssen an Vakuumquellen (in der Regel ein Venturi). Magnete benutzt man häufig, wenn die vorhandene Oberfläche für einen sicheren Pick-and-Place-Vorgang mit Vakuumsaugern zu klein ist.

  • Greifer/Kraftspanner: Kurvenklemmgreifer oder Kraftspanner eignen sich zum Fixieren von Teilen. Leichte Kurvenklemmgreifer sind die idealen Werkzeuge für das Handling von Teilen in Presswerken. Ein interner Mechanismus verhindert, dass sich der Greifer bei Druckluftverlust öffnet. Kurvenklemmgreifer sind in diversen Ausführungen mit einer großen Auswahl an Kontaktpunkten erhältlich. In Karosseriewerken werden für das Handling von Teilen oft Kraftspanner eingesetzt. Sie besitzen eine gekapselte pneumatische Sperre (toggle lock). Kraftspanner mit integrierter Offen/Geschlossen-Erkennung halten Teile auch bei Druckluftverlust fest.

  • Venturis: Venturis sind die weltweit gebräuchlichste Vakuumquelle für Vakuumsauger in Endeffektorlösungen. Herkömmliche Systeme besitzen zwei Luftleitungen: eine, die das zum Aufnehmen des Teils benötigte Vakuum erzeugt, und eine zweite, die zum Absetzen des Teils Luft in den Sauger leitet. In jüngster Zeit kommen vermehrt auch Venturis mit nur einer Leitung zum Einsatz. Venturis mit einer Leitung benötigen 50 % weniger Luft, was die Betriebskosten senkt, und da nur eine Luftleitung gewartet werden muss, sinken auch die Wartungskosten.

Fazit

Trotz der sich verändernden Marktlage werden robotergestützte Spann- und Pick-and-Place-Anwendungen noch lange einen festen Platz in der industriellen Fertigung einnehmen. Hersteller mit Press- oder Karosseriewerken sollten dringend Tooling-/Endeffektorlösung planen und installieren, die mit den vorhandenen Automatisierungs-/Roboterlösungen kompatibel sind. Dazu sollten sie die Lieferanten von automatisierten Tooling/EOAT-Lösungen von Beginn an in den Planungsprozess einbeziehen. Nur dann kennen sie sämtliche Variablen und Optionen, um schließlich dank modernster digitaler Planungstools und in enger Zusammenarbeit mit allen Beteiligten die optimale Lösung liefern zu können.

Über den Autor:

Benjamin Pauzus, Jr. arbeitet in Business Development, End Effectors für DESTACO, Auburn Hills, MI. Er ist erreichbar unter: bpauzus@DESTACO.com. DESTACO wurde 1915 als Detroit Stamping Company gegründet und ist der weltweit führende Anbieter von Präzisionsbewegungs-, Positionierungs- und Steuerungslösungen für die industrielle Automatisierung. Die DESTACO-Produktfamilie besteht aus branchenführenden Marken wie DESTACO Handspannern, Kraftspannern, und Endeffektoren, Camco™ und Ferguson™ Schrittschaltgetrieben, Robohand™ Greifern und CRL™ Manipulatoren und Transferlösungen. Das zur Dover Corporation gehörende Unternehmen beschäftigt weltweit rund 800 Mitarbeiter an 13 Standorten. Für weitere Informationen, besuchen Sie bitte DESTACO.com.

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